Das internationale Erbrecht befasst sich mit grenzüberschreitenden Nachlassfällen, bei denen der Erblasser, Erben oder Nachlassgegenstände sich in verschiedenen Ländern befinden. Es regelt Fragen zur anwendbaren Rechtsordnung, zur Zuständigkeit von Gerichten und zur Anerkennung ausländischer Erbentscheidungen.
1. Grundlagen des Internationalen Erbrechts
Das internationale Erbrecht setzt sich aus mehreren Regelungsebenen zusammen:
- EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) (Verordnung (EU) Nr. 650/2012)
- Nationale Erbrechtsregelungen der jeweiligen Länder
- Internationale Abkommen wie das Haager Testamentsabkommen (1961)
Diese Vorschriften regeln, welches Erbrecht zur Anwendung kommt, welches Gericht zuständig ist und ob ausländische Entscheidungen anerkannt werden.
2. Rechtswahl und Erbstatut
Nach Art. 21 EuErbVO richtet sich das Erbrecht grundsätzlich nach dem Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Beispiel:
Ein deutscher Unternehmer stirbt mit Wohnsitz in Spanien, hinterlässt Immobilien in Deutschland und Bankkonten in der Schweiz.
- Ohne Rechtswahl: Spanisches Erbrecht ist anwendbar (gewöhnlicher Aufenthalt).
- Mit Rechtswahl: Er hätte im Testament deutsches Erbrecht wählen können (Art. 22 EuErbVO).
Urteil: EuGH, Rs. C-20/17 (Mahnkopf)
Der EuGH entschied, dass das Pflichtteilsrecht Teil des anwendbaren Erbrechts ist, wenn das Erbstatut ein bestimmtes nationales Recht vorsieht.
3. Zuständigkeit der Gerichte
Nach Art. 4 EuErbVO sind die Gerichte des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zuständig.
Beispiel:
Ein Franzose stirbt in Deutschland. Sein gesamter Nachlass liegt in Frankreich.
- Zuständig ist das deutsche Nachlassgericht (gewöhnlicher Aufenthalt).
- Will ein Erbe vor einem französischen Gericht klagen, müsste geprüft werden, ob eine abweichende Regelung gilt.
4. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Erbentscheidungen
Nach der EuErbVO sind Erbentscheidungen in anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken. Das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) (Art. 62 EuErbVO) erleichtert die Abwicklung.
Beispiel:
Ein Italiener mit Wohnsitz in Deutschland verstirbt. Ein deutsches Gericht stellt ein ENZ aus.
- Damit kann der Erbe in Italien Grundstücke auf sich übertragen lassen, ohne ein separates Anerkennungsverfahren durchlaufen zu müssen.
Urteil: BGH, Beschl. v. 29.06.2022, IV ZB 13/21
Der BGH entschied, dass ein italienisches ENZ für deutsche Immobilien anerkannt werden kann.
5. Pflichten und Aufgaben für Anwälte im internationalen Erbrecht
A) Beratung zu Rechtswahl und Gestaltung von Testamenten
- Prüfung der Erbstatuten verschiedener Länder
- Empfehlung einer Rechtswahlklausel zur Vermeidung unerwünschter Rechtsanwendungen
B) Unterstützung bei Nachlassabwicklung
- Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
- Koordination der Erbschaftsabwicklung mit ausländischen Anwälten
- Unterstützung bei der Anerkennung ausländischer Testamente
C) Prozessführung in internationalen Erbkonflikten
- Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen
- Anerkennung ausländischer Erbentscheidungen vor deutschen Gerichten
- Vollstreckung von Erbansprüchen in Drittstaaten
D) Steuerrechtliche Beratung
- Vermeidung von Doppelbesteuerung (Erbschaftssteuer in mehreren Ländern)
- Nutzung von Erbschaftsteuerfreibeträgen in verschiedenen Ländern
6. Internationales Erbrecht
Das internationale Erbrecht ist komplex und erfordert strategische Planung, fundierte Rechtskenntnisse und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Anwälte übernehmen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung, Durchsetzung und Abwicklung grenzüberschreitender Nachlässe.